Die Minderwertigkeit des Mannes

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Biograhisches

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Der Maikäfer

D
Zur Zivilisation

Die Bedeutung des Nuckels

 

 

Die Gesellschaftskritik von Arno Gruen
Die Minderwertigkeit des Mannes

von

Rudi Zimmerman

Das männliche Beherrschungsbedürfnis

Arno Gruen entwickelt in seinem letzten Buch1 eine kritische Gesellschaftstheorie.

Er stellt das männliche Prinzip, Macht und Herrschaft ausüben zu müssen, in Frage. „Was ich bin, hat fast nichts damit zu tun, wer ich bin. Es hat vielmehr nur mit der Fehlbildung zu tun, wie jemand glaubt, erscheinen zu müssen, um Status und Macht gegenüber anderen zu behaupten.“ (Seite 15). Menschen ändern ihr Wesen, weil sie im Bann des Bedürfnisses nach Anerkennung von Leistung stehen. (ebenda, S. 15). Er bezeichnet diesen „Bann nach Anerkennung“ zwar nicht als narzisstisches Bedürfnis, meint jedoch das gleiche wie andere Autoren2 und was Gabbert in seinem Aufsatz zur forensischen Narzissmustheorie3 beschrieben hat. Jeder Mensch benötigt ständig Anerkennung, und die typisch männliche Art und Weise, Anerkennung bekommen zu wollen, ist das positive Feedback für Machtdemonstration, Unterdrückung, Beherrschung und Erniedrigung anderer Menschen. Für dieses Bild von 'Männlichkeit' verlangt er nach Bestätigung. Und diese Bestätigung bleibt nicht aus, weil dem, der die Bestätigung verweigert, massive Bestrafung droht. Deshalb wird der Schwächere und Wehrlose als Opfer auserkoren. Beispielsweise der Sohn im Kleinkindalter, der mit Kastration bedroht wird – was Freud entdeckt und als Kastrationsdrohung beschrieben hat. Gesellschaftlich wird das in der Beschneidung der männlichen Nachkommen in manchen Kulturen zelebriert. Die derart misshandelten männlichen Kinder haben keine Wahl, die Übermacht der Männer anzuerkennen und sich dieser und der mit ihr verbundenen Ideologie, in diesen Fällen religiösen Inhalts, zu unterwerfen. Dafür werden sie jedoch mit der gesellschaftlichen Machtstellung belohnt, an der sie als Erwachsene teilhaben. Anders ergeht es den weiblichen Mitgliedern der Gesellschaft. Diese bleiben zeitlebens Opfer der Gewaltausübung und müssen sich bis zum Tod den männlichen Ideologien der Gesellschaften unterwerfen. Was sie selbstverständlich auch 'freiwillig' tun, weil sie anderenfalls – in einigen Kulturen - mit dem Tode bedroht werden, was in diesen Kulturen gesetzlich festgeschrieben und damit 'legal' ist.

Die Ursache dieses Machtstrebens

Gruen sieht – wie beispielsweise auch Alfred Adler4 etwa 100 Jahre vor ihm – die Ursache dieses Machtstrebens im Unbewussten. „Was dann im Verdrängten lauert, ist ein Minderwertigkeitsgefühl, ...“ (Seite 16). „Unsere Gefühle der Unzulänglichkeit, der Hilflosigkeit, des Leidens, der Verzweiflung und der Angst werden als Schwäche eingestuft, sie müssen geradezu verneint und als 'weiblich' abgetan werden. Damit aber wird das Weibliche, das uns allen eigen ist, zur Grundlage, um eine widersinnige Trennung der Geschlechter vorzunehmen.“ (Seite 17). Das Individuum darf nicht 'schwach' sein, sonst geht es unter. Dieses Schwache, das verbunden ist mit Zugang zu eigenen Gefühlen, zu Mitgefühl mit anderen Lebewesen, mit Rücksichtnahme, mit Kooperationsfähigkeit, mit liebender Zuwendung, die das Wohl des Anderen im Auge hat, wird als das Weibliche identifiziert. Männliches und Weibliches werden als sich ausschließende Gegensätze konstruiert und dieses Weibliche muss der Mann unterdrücken.

Gruen fühlt aus meiner Sicht das Richtige, indem er ausführt: „Auf der einen Seite steht das verengte, männliche Bewusstsein der Ehre; auf der anderen Seite das erweiterte, weibliche Bewusstsein, das die Ehre keineswegs anerkennt und erhöht.“ (Seite 18). Das umfassendere weibliche Prinzip umschließe Einfühlungsvermögen und Menschlichkeit. (Seite 19). Das männliche Bewusstsein sei reduziert, das weibliche umfassend. (Seite 19). „Indem wir 'Gefühle' als subjektiv einstufen, entfernen wir uns immer mehr von unserer Empathie, also davon, unserem Einfühlungsvermögen zu trauen.“ (Seite 23) „Wir wollen nicht anerkennen, dass diese Gefühlsumpolung eine wichtige Funktion bei der Zivilisationsentwicklung hatte … . Ihr Wesenskern war Macht und Eroberung.“ (Seite 23) „Kooperation und Empathie sind die bestimmenden Faktoren in unserer Evolution.“ (Seite 24)

Gruen spricht auch die technische Evolution an. Die technischen Produkte verbessern unsere Fertigkeiten (Messer, Speer, Gewehr usw.). Damit kompensieren sie unsere objektiven Schwächen. Nur: das Gefühl der Minderwertigkeit ist dadurch nicht beseitigt.

Geldbelohnung als Instrument zur Anpassung

Gruen erkennt auch richtig, dass der Wechsel von Kooperation zu Wettkampf in der Evolution einhergeht mit dem 'Besitz' (Seite 29) und dass Gehorsam nicht nur durch Strafen, sondern auch durch Belohnungen produziert wird (Seite 30). Seit einigen Jahren weise ich darauf hin, dass das Belohnungssystem der Gesellschaft erwünschtes Verhalten mit Geld (Gehalt, Lohn usw.) belohnt und dadurch die Individuen an die Gesellschaft anpasst. Nur: Belohnungen führen nicht nur zu Anpassung, sondern auch zu Selbstentfremdung.

Gruen kritisiert auch die Weltzivilisation. „Seit aber Kampf, Eroberung und Unterdrückung das Leitmotiv unserer Weltzivilisation bilden, wurde alles, was auf empathischen Wahrnehmungen gründet, als schwach eingestuft.“ (Seite 36) „Feinddenken ist ein Ablenkungsmanöver, sodass der eigentlichen Feind, der Aggressor und Unterdrücker, nicht wahrgenommen werden kann.“ (Seite 38) „Man muss … den Feind im Außen finden, um ihn für die Demütigung der erlebten, selbstverschuldeten Unterjochung zu bestrafen, die man nicht zugeben darf.“ (Seite 39)

Gruen erkennt auch einen inneren Antrieb, den er nicht weiter begründet: „Der Motor, der unser Verhalten bestimmt, ist ein andauernder Trieb nach dem Immer-Größer-Werden, nach dem endlosen Wachstum. Doch dieses unaufhörliche Streben nach Wachstum … bringt uns mit den physikalischen und biologischen Gesetzen der Erde in Kollision.“ (Seite 100) Das das zum Untergang der Erde führt, zum Biozid, wagt er nicht auszusprechen. Er geht vielmehr über zur Kritik des Wirtschafts- und Geldsystems.

„Das Maß des Erfolgs ist Geld.“ (Seite 103) Wenn Regierungen Bankiers, Spekulanten u.a. unterstützt, fühlen sich die Menschen ungerecht behandelt, meint er. (Seite 116) „Größe hat heute mit der Anhäufung von Profit zu tun und nicht mit der tatsächlichen Herstellung von Produkten, ….“ (Seite 119/120). Er verweist sogar auf psychologische Untersuchungen. „Die Bankergruppe verhielt sich in der Testsituation rücksichtsloser, egoistischer und unkooperativer als die der Psychopathen.“ (Seite 136, eine Untersuchung von Noll und Scherrer 2011)

Die Position der Philosophie lebender Systeme

Dieser ständige Drang nach Wachstum ist nach dem Ergebnis meiner Forschungen allerdings eine biologische Konstante, die jedem lebenden System eigen ist. Die Mittel zur Befriedigung dieses Wachstumsdrangs, den ich als Selbstentfaltung bezeichne, sind selbstverständlich nicht genetisch vorprogrammiert. Gewaltanwendung, Betrug usw. sind lediglich vom Menschen ausgedachte Methoden, die in der jeweiligen Situation zum Erfolg führen. Sicher ist, dass die Erde zerstört wird, wenn die Menschheit weiter wächst und ihre Bedürfnisse weiter wachsen. Letzteres kann auch als 'Energiehunger' beschrieben werden. Dieser Untergang des System Erde kann nur dadurch aufgehalten werden, dass dieses materielle Wachstum begrenzt wird und dass der biologisch genetisch verankerte Wachstumswunsch im geistigen Bereich befriedigt wird. Das materielle Wachstum muss durch das geistige Wachstum abgelöst werden. Wir müssen nicht nur lernen zu empfinden, wie Gruen meint, sondern wir müssen lernen uns geistig zu entfalten.

Auch scheint mir Gruen den eigentlichen Grund für diese Trennung von männlich und weiblich und die Unterdrückung des Weiblichen nicht richtig zu erkennen. Er meint zwar – wie Adler – dass dieses Weibliche als das 'Schwache' angesehen werde und sieht im Mann deswegen ein Minderwertigkeitsgefühl, das erklärt jedoch aus meiner Sicht nicht, dass dieses Schwache abgewehrt wird. Der Gedankengang bei Gruen und Adler ist ja: Weibliches ist schwach und weil es schwach ist, ist es weniger wert als das Männliche und weil es weniger wert ist und ein Minderwertigkeitsgefühl vermittelt, muss es abgewehrt werden.

In Wahrheit verhält es sich jedoch nach meinen Forschungsergebnissen anders:

Der eigentliche Grund für die Abwehr des Weiblichen ist die Überlegenheit des Weiblichen.

Das Weibliche ist dem Männlichen überlegen wegen seiner Fähigkeit, ein Kind in ihrem Körper heranwachsen zu lassen und es auch nach der Geburt mit Hilfe der Brust zu ernähren. Im Grunde fühlt sich der Mann minderwertig, weil er diese Fähigkeiten nicht besitzt. Ohne diese Fähigkeiten würde die Menschheit, der Stamm, die Gesellschaft aussterben. Und diese Grundfähigkeit des Weiblichen, Nachwuchs heranwachsen zu lassen, ist die Überlebensgrundlage der Gesellschaft, des Staats, des Stammes. Von dieser Fähigkeit ist der Mann abhängig. Der Mann ist für diese Fortsetzung des Stammes, Staates usw. überflüssig, weil nämlich auch der Mann des Nachbarstammes, des Nachbarstaates, der benachbarten Gesellschaft an seine Stelle treten kann. Dies macht dem Mann Angst und vermittelt ihm ein objektiv begründetes Minderwertigkeitsgefühl.

Diese objektiv tatsächlich vorhandene Unfähigkeit des Mannes vermittelt ihm ein begründetes Minderwertigkeitsgefühl.

Angemessen wäre, dass der Mann die überlegenen weiblichen Fähigkeiten bewundert und die Frau wegen dieser Fähigkeiten schätzt.

Anstatt jedoch das Weibliche zu bewundern und anzubeten, weil es ihm überlegen ist, denkt er sich einen Gott aus, den er anbetet und der männlich ist und der Frauen als minderwertige Wesen geschaffen hat. Diese religiöse Ideologie, die in den verschiedenen Kulturen jeweils andere Facetten hat, setzt er mit körperlicher Gewalt durch. Mehr als diese körperliche Gewalt hat der Mann nicht zu bieten. Aber dieses Mittel setzt er ein, um in verschiedenen Kulturen und Religionen das Weibliche als minderwertig zu diffamieren und zu unterdrücken. Mit Hilfe körperlicher Gewaltandrohung und Gewaltanwendung und mit Hilfe ausgedachter Götter und religiöser Spinnereien, denen jegliche wissenschaftliche Begründung fehlt, wird das objektiv überlegene Weibliche auf verschiedene Arten unterdrückt, um das Bild der Überlegenheit des Männlichen aufrecht zu erhalten. Damit kompensiert der Mann der herrschenden Kulturen seine Minderwertigkeit.

Leider übersieht Gruen (und andere Autoren) den objektiven Zusammenhang, nämlich die tatsächliche Überlegenheit des Weiblichen durch dessen Ernährungsfähigkeit. Das von Gruen in den Vordergrund gestellte Einfühlungsvermögen und das Empathische sind quasi Begleiterscheinungen der Ernährungsfähigkeit, die es der Frau ermöglichen, die Bedürfnisse des sprachlosen Säuglings zu erkennen. Die Mutter versteht per Einfühlungsvermögen, was ihr Säugling benötigt, auch ohne dass dieser sprechen und seine Bedürfnisse verbalisieren kann. Die tatsächliche Überlegenheit des Weiblichen resultiert aber aus seiner Fähigkeit, ein Kind innerhalb und außerhalb des lebenden Körpers ohne körperexterne Hilfsmittel ernähren zu können, biologisch gesagt: aus dem Besitz des Uterus und der Brust.

Rudi Zimmerman in August 2014

1) Gruen, Arno: Dem Leben entfremdet. Warum wir lernen müssen zu empfinden. Klett-Cotta. Stuttgart. 2013. 4. Auflage. ISBN 978-3-608-94746-5.

2) Kohut, Heinz (1973): Narzissmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen (Suhrkamp). ISBN 3518072714

3) Gabbert, Thomas (2009): Anwendung der Narzissmustheorie im Strafverfahren (forensische Narzissmustheorie). Archiv für Kriminologie 224, 116-126

4) Adler, Alfred (1972): Über den nervösen Charakter. Frankfurt am Main (Fischer). ISBN 3436015881. Original 1928

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